25.08.2021

Der kleine Start in die große Karriere

Vor 30 Jahren fährt Michael sein erstes Formel-1-Rennen

Der kleine Start in die große Karriere

Das erste Rennen
Dieser Text stammt aus dem Buch „Schumacher. Die offizielle und autorisierte Inside Story zum Karriere-Ende“:

Ein dumpfer Druck im Kopf. Schwere Augen, Schnüffelnase. Die Stimme belegt, fast zu tief für einen 22-Jährigen. Das Kinn trotzig nach vorn geschoben, der Mund noch kleiner als sonst. Als der junge Mann die Jugendherberge betritt, an diesem Abend Ende August 1991, kämpft er gegen sein Unwohlsein. Eine schwere Erkältung, die er sich zugezogen hat beim Reisen, Japan – Europa – Japan, so viele Langstreckenflüge in kurzer Zeit zehren selbst an einem so durchtrainierten Sportler wie er einer ist: Ein Formel-3000-Fahrer auf Abwegen.

Am Vorabend seines ersten Rennwochenendes in der Formel 1 ist Michael Schumacher nicht wirklich fit, aber anmerken lassen würde er es sich nie. Zähne zusammenbeißen und durch. Michael erinnert sich: „Ich weiß noch, dass ich mich damals absolut mies gefühlt habe. Ich war krank, hatte eine ziemlich starke Erkältung, und ich wusste natürlich, dass dieser Zustand nicht so toll für mein erstes Rennwochenende ist. Dementsprechend konnte ich schlecht schlafen. Es lag vor allem daran, dass ich in dieser Zeit vorher noch Formel 3000 gefahren bin, in Japan. Ständig habe ich gegen den Jet-lag gekämpft. Als ich an diesem Abend dort in Spa ankam, fühlte ich mich seltsam eingeschränkt: wie wenn du diesen Tunnelblick hast, wo du nichts mehr siehst und dich nur noch auf die nächstliegenden Dinge konzentrierst.“

Die „nächstliegenden Dinge“, wie Michael es nennt, funktionierten gut, und so hatte die Fachwelt nach diesem Rennwochenende einen neuen Namen, auf den sie achten musste: Michael Schumacher. Der kann es vielleicht zu was bringen.

Dass Spa-Francorchamps Michael Schumachers erstes Rennen werden sollte, war Zufall, könnte man sagen: Es lag daran, dass Eddie Jordan für sein aufstrebendes Team dringend einen Fahrer brauchte, weil der offizielle Fahrer Bertrand Gachot nach einem Zwischenfall mit einem Londoner Taxifahrer plötzlich im Gefängnis saß. Es lag daran, dass sein damaliger Manager Willi Weber permanent die Nervensäge beim Teamchef spielte. Es lag daran, dass Michaels damaliger anderer Förderer, Jochen Neerpasch, den klangvollen Namen von Mercedes als Argument einbrachte. Und es lag an dem Eindruck, den der junge Formel-3000-Fahrer zuvor beim Testen gemacht hatte.

Dass Spa-Francorchamps Michael Schumachers erstes Rennen werden sollte, war alles andere als Zufall, sagen jedoch viele Formel-1-Anhänger. Sie sehen darin eine Art Vorbestimmung, weil Schumacher sich auf dem beeindruckenden Kurs in den Ardennen sofort heimisch fühlte. Und weil es scheint, als seien dieser Kurs und Michael Schumachers Formel-1-Werdegang auf unbestimmbare Weise miteinander verwoben.

In Spa erlebt er glanzvolle Höhepunkte seiner Karriere und nervenzerrüttende Krisen – es ist, als kreise Schumachers Rennfahrerleben um die gewaltigen Kurven dieser Strecke, die er so liebt: „Dieser Kurs ist etwas ganz besonderes, er hat einen eigenen, eigenwilligen Charakter. Er ist eine wirkliche Herausforderung für jeden Fahrer, er verlangt dir dein ganzes Können ab. Er ist mit Abstand mein Lieblingskurs.“

Das Rennwochenende, Freitag, das erste Training. Michael steht in dem Lastwagen, in dem die Schrauben und Ersatzteile gelagert sind, ganz hinten, weit entfernt von der Tür. Das Gesicht kantig und verschlossen, der Blick nach innen gerichtet. In einer schnellen Bewegung streift er das feuerfeste Unterhemd über den Kopf, zieht den grünen Overall hoch, schlüpft in die Ärmel und schließt den Reißverschluss. Auf der Lasche haben sie den Namen von Teamkollege de Cesaris mit einem Haftband überklebt und Schumachers Namen darauf geschrieben – für einen eigenen Overall fehlt das Geld, und wer weiß, wie lange dieser Schumacher im Team sein wird.

Samstag: Der unbekannte Youngster kämpft sich im Qualifikationstraining fast sensationell auf Platz sieben vor, überrascht dabei im ersten Formel-1-Qualifying seines Lebens in der gefährlichen Blanchimont-Kurve – „wir haben es damals mit Jordan hinbekommen, dass wir das Auto so gut abgestimmt haben, dass ich Blanchimont voll fahren konnte“ – und erobert sich damit im Handstreich die Aufmerksamkeit der etablierten Fahrer.

Sein Rennen selbst war bereits nach rund 500 Metern wegen eines Kupplungsschadens beendet. Da aber hatte eine der grössten Geschichten des Motorsports bereits begonnen.